Kind im Schmerz begleiten – Präsenz statt reparieren wollen
- Michael Bauer
- vor 38 Minuten
- 3 Min. Lesezeit
Kürzlich habe ich in einem Post erwähnt, wie wichtig es ist, dass wir unser Kind in seinem Schmerz stehenzulassen. Heute möchte ich etwas tiefer darauf eingehen – und was würde besser zu diesem Thema passen als die Osterzeit?
Warum gerade Ostern?
Zu Ostern feiern wir die Auferstehung Christi. Das mag historisch so geschehen sein – aber unabhängig davon lädt uns diese Geschichte ein, sie auch als starke Metapher zu verstehen.
Jesus wird ans Kreuz genagelt – ein Bild für tiefsten, unsäglichen Schmerz. Ähnlich dem Schmerz, den ein Kind empfindet, wenn die erste große Liebe in die Brüche geht, wenn ein geliebtes Haustier stirbt – oder auch einfach „nur“, weil es ein Spielzeug nicht haben darf und sein Bedürfnis nach Selbstbestimmung nicht erfüllt wird.
Jesus bleibt im Schmerz. Er hält ihn aus, geht durch ihn hindurch. Und seine Mutter? Sie bleibt bei ihm. Sie hält diesen Raum aus. Sie versucht nicht, ihn zu trösten oder den Schmerz zu reparieren. Sie ist einfach da – in Liebe und Präsenz.
Und wir als Eltern?
Das ist genau das, was wir für unsere Kinder tun dürfen – als Väter, als Eltern: da sein. Wenn dein Kind leidet, aus welchem Grund auch immer, braucht es nicht sofort eine Lösung. Es braucht vor allem dich. Deine liebevolle Präsenz. Nicht viele Worte – sondern deine Bereitschaft, den Raum zu halten, dein Kind im Schmerz zu begleiten, auch wenn es dir selbst das Herz zerreißt.
Wir dürfen dem Schmerz Raum geben, ohne ihn zu bewerten. Es steht uns nicht zu zu entscheiden, ob das, was passiert ist, den Schmerz „wert“ ist oder nicht. Was dein Kind fühlt, ist echt – Punkt.
Übrigens: Das gilt auch im Umgang mit Freund:innen. Auch hier dürfen wir uns zurücknehmen und den Schmerz des anderen einfach nur anerkennen – ohne ihn zu relativieren oder zu beurteilen.
Meine eigene Geschichte
Für mich war es ein intensiver Lernweg, mein Kind in seinem Schmerz stehen zu lassen – ohne ihn reparieren oder beschwichtigen zu wollen.
Besonders herausfordernd war es, wenn ich selbst der Auslöser war. Wenn ich zu laut wurde. Wenn ich etwas verboten habe und mich danach die Schuld plagte.
Ich erinnere mich an eine Szene, die ich in einem früheren Blogartikel beschrieben habe: als der Rasenmäher explodierte. Es kam zu einem heftigen Streit mit meinem jüngsten Sohn. Ich sah später seinen Schmerz – und es brach mir das Herz. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, aber er verweigerte die Nähe.
Stattdessen habe ich tief aus dem Herzen mein Bedauern ausgesprochen und ihm gesagt: „Wenn du reden möchtest, ich bin unten und für dich da.“Es dauerte 20–30 Minuten, dann kam er zu mir. Wir führten ein ehrliches, offenes Gespräch. Und was mich damals besonders berührte: Er traute sich, ganz ehrlich zu sein – weil er wusste, dass ich es halten kann.
Noch eine Geschichte – aus der Schwiegerelternrolle
Während ich diesen Text schreibe, fällt mir noch eine zweite Geschichte ein, die ich unbedingt mit euch teilen möchte.
Eines Tages kam meine Schwiegertochter zu mir, weil sie jemanden zum Zuhören brauchte. Allein das war für mich ein Geschenk – dass sie mich als Ansprechpartner wählte.
Sie erzählte, ich hörte zu. Ganz präsent. Keine Ratschläge, keine Bewertungen. Einfach da.Nachdem sie fertig war, saßen wir noch 15–20 Minuten schweigend nebeneinander. Ich war einfach da.
Dann fragte ich: „Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?“Und sie antwortete: „Nein, das war genau das, was ich gebraucht habe. Es hat so gut getan, einfach nur gehört zu werden.“
Was dein Kind (und wir alle) dabei lernen können
Nach dem Tod am Kreuz zieht sich Jesus in eine dunkle Höhle zurück. Ein Rückzug nach innen. Er verarbeitet, integriert – und steht drei Tage später wieder auf. Gestärkt. Klarer. Einen Schritt näher bei sich.
Wenn wir es unseren Kindern ermöglichen, durch einen schmerzhaften Prozess zu gehen, statt sie davor zu bewahren, dann passiert genau das:
Sie lernen, mit Emotionen umzugehen.
Sie bleiben handlungsfähig – nicht, weil sie Gefühle unterdrücken, sondern weil sie sie erleben dürfen, ohne darin unterzugehen.
Sie lernen, Schmerz zu spüren, ohne sich darin zu verlieren.
Sie lernen, um Hilfe zu bitten, wenn sie sie brauchen.
Und sie lernen, sich selbst zu lieben – weil sie sich als wirksam und gleichzeitig gehalten erleben.
Das ist vielleicht eines der größten Geschenke, die wir ihnen machen können.
„Heilung beginnt dort, wo wir den Schmerz nicht mehr vermeiden.“
Michael Bauer
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